Die Bedürfnisse der Trauernden

besser erfüllen

Interview der ARGE Urnenhain mit Günter Czasny

Heilsame Trauerbewältigung erfordert einen konkreten Ort. Der konventionelle Friedhof wird aber häufig als überreglementierter, uniformer und bedrückender Ort empfunden. Viele Trauernde suchen daher zeitgemäße Alternativen. Die Arbeitsgemeinschaft Urnenhain sprach mit Günter Czasny von der Kunstgießerei Strassacker über den Wandel in der Bestattungskultur, seine Auswirkungen und Lösungsmöglichkeiten.
 
ARGE Urnenhain: Wie ist die aktuelle Situation auf dem Friedhof?
Günter Czasny: Die regelmäßige Pflege einer konventionellen Grabstelle wird von vielen Angehörigen als belastend empfunden. Das Bedürfnis, sich von dieser Verpflichtung zu befreien, wird in Zukunft noch zunehmen. Das bedeutet, dass die konventionelle Grabstelle nicht an Attraktivität gewinnt, im Gegenteil: Alle Angebote, die von der Grabpflege entbinden, sind im Zulauf. Davon betroffen sind alle Gewerke, die auf dem Friedhof aktiv sind, also nicht nur Steinmetzen, sondern auch Friedhofsgärtner und letztendlich auch die Friedhofsbetreiber und Gemeinden als Träger.
 
ARGE Urnenhain: Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Günter Czasny: Es ist uns leider noch nicht gelungen, den gesellschaftlichen Nutzen und die Wertigkeit einer Grabstelle in der breiten Öffentlichkeit zu vermitteln. Trauer und Friedhof sind unangenehme Themen, mit denen man sich ohne konkreten Anlass meist nur sehr ungern befasst. Wir müssen uns noch stärker auf die Sorgen und Bedenken derjenigen Menschen konzentrieren, die künftig vor der Entscheidung über die Art der Bestattung stehen.
 
ARGE Urnenhain: Gibt es positive Beispiele?
Günter Czasny: Die am Friedhof aktiven Berufsgruppen – Steinmetze, Gärtner, Friedhofsverwalter und Bestatter – sehen die Veränderung schon lange und unternehmen enorme Anstrengungen im gesamten deutschsprachigen Raum. Wenn man sich fragt, was die Bedürfnisse der Angehörigen sind und wie man diese bei der Planung und Gestaltung einer zeitgemäßen Grabstelle berücksichtigen kann, steigt die Akzeptanz des Friedhofes als Ort der Trauerbewältigung. Viele erfolgreiche Projekte beruhen darauf, dass sie Angehörige von der regelmäßigen Grabpflege entbinden, zugleich aber individuelle Trauerhandlungen am Grab zulassen. Es dreht sich also stets auch um die Frage, wie die Grabstellen eingerichtet sein sollten. Das gilt sowohl für Städte als auch für den ländlichen Raum.
 
ARGE Urnenhain: Können Sie ein konkretes Beispiel schildern?
Günter Czasny: Einen ganz aktuellen Fall habe ich in der Stadt Süßen erlebt. Der Gemeinderat wollte Baumbeisetzungen auf dem Friedhof einrichten. Wir konnten ihn stattdessen überzeugen, ein Grabfeld mit Urnengrabstellen einzurichten, die Trauerhandlungen ermöglichen, aber nicht zur Grabpflege zwingen. Dieses Grabfeld wurde gemeinsam mit Steinmetzen, Friedhofsgärtnern und Bestattern realisiert. Die Gemeinde bleibt durch die umgesetzte Lösung in alle Richtungen flexibel.
 
ARGE Urnenhain: Wie sieht diese Lösung aus?
Günter Czasny: Auf dem Grabfeld stehen viele Bäume, um einen gewissen Waldcharakter zu unterstreichen; ein natürlicher Wald wird jedoch bewußt nicht nachgebildet. Es sind sogar Sargbeisetzungen möglich. Die Gemeinde hat somit die Freiheit, das Grabfeld nach Bedarf in die eine oder andere Richtung zu entwickeln.
Dazu haben wir gemeinsam analysiert, was die Menschen wünschen. Als zentraler Punkt taucht immer wieder die als Belastung wahrgenommene Grabpflege auf. Früher galten Kolumbarienwände als Lösung, heute verspricht dies der Friedwald. Trauernde wollen aber nicht unbedingt in den Wald ausweichen; sie wollen nur heraus aus der Verpflichtung, die konventionelle Gäber für viele darstellen. Zugleich wünschen alle Trauernden einen konkreten Ort für ihre Trauerhandlungen. Alle Projekte, die einen Weg finden, wie sich diese Wünsche auf traditionellen Friedhöfen integrieren lassen, werden Erfolg haben.
 
ARGE Urnenhain: Was sind Grundbestandteile erfolgreicher Grabfelder?
Günter Czasny: Erstens muss der Ort der Trauer definiert sein: die Grabstelle muss gekennzeichnet sein, muss persönliche Daten tragen, damit die bestattete Person erkennbar ist. Je mehr die Gestaltung der Grabstelle die Persönlichkeit des verstorbenen Menschen aufgreift und wiederspiegelt, desto besser kommt der Prozess der Trauerbewältigung bei den Angehörigen in Gang. Zweiter sollte keine Verantwortung zur regelmäßigen Pflege entstehen, also keine Bindung über Jahrzehnte hinweg. Zugleich sollte die Möglichkeit bestehen, bei einem Besuch am Grab Trauerhandlungen auszuführen.
 
ARGE Urnenhain: Was sind typische Trauerhandlungen?
Günter Czasny: Das Anzünden von Lichtern, das Ablegen von Blumen oder von Gegenständen. Gerade dieses persönliche Ablegen hilft vielen Trauernden an der Grabstätte. Viele solcher Handlungen und ihre Wirkung sind erkannt, können am Land und in der Stadt überall beobachtet werden und sind auch wissenschaftlich aufgearbeitet.
 
ARGE Urnenhain: Ist beim Trauern die Größe des Grabsteines von Bedeutung?
Günter Czasny: Wie erfolgreiche Felder mit Urnenstelen zeigen, ist die Größe des Steines nicht relevant. Wir benötigen eine Rückbesinnung, worum es beim Grab tatsächlich geht. Ein Zeichen ist wichtig, das muss aber nicht nur der Stein allein sein. Der Stein am Grab wird immer bleiben und sich auch wieder etablieren, Der Stein muss sich dazu aber erklären – durch seine Materialität, seine Beständigkeit. Wenn Angehörige ein dauerhaftes Grabzeichen wünschen, werden sie sich immer für Stein oder eine Kombination mit einem anderen dauerhaften Material wie Metall entscheiden. Stein also nicht allein aus Tradition, sondern als Zeichen dauerhaften Andenkens.
 
ARGE Urnenhain: Wie sollten Grabzeichen auf einem zeitgemäßen Friedhof aussehen?
Günter Czasny: Bei der individuellen Gestaltung eines personenbezogenen Grabzeichens ergibt sich automatisch eine bestimmte Größe. Bei einer solchen Gestaltung wird man notwendigerweise beinahe wieder an die traditionelle Steingröße herankommen.
Der Friedhof wird sich in seiner Bedeutung allerdings neu definieren müssen. Er wird zum heilsamen Ort für Hinterbliebene werden. Dazu gehören Rückzugsräume, Ruhemöglichkeiten, Intimität, Ungestörtheit, geschützte Bereiche, in denen sich Trauernde ungestört besinnen können. All das muss der Friedhof in seiner Gesamtgestaltung in der Zukunft bieten.
 
ARGE Urnenhain: Welche Auswirkungen hat das für Steinmetzen?
Günter Czasny: Der Steinmetz muss offen für diese Veränderungen sein. Vieles geschieht oft nur im kleinen Kreis mit Berufskollegen oder anderen Gewerken, die am Friedhof arbeiten. Die Öffentlichkeit, die sich nicht mit dem Thema Friedhof und seinem Wandel befasst, ist viel größer und viel weiter davon entfernt, als wir glauben möchten. Die größte Gefahr sind nicht die Kolombarienwände, sondern Friedwälder oder Ruheforste, also alles, was sich außerhalb des Friedhofs etabliert. Dieser Trend ist mittlerweile aber in der Gesellschaft angekommen.
 
ARGE Urnenhain: Was ist zu tun?
Günter Czasny: Uns muss es gelingen, vernünftige Alternativen aufzuzeigen. Friedwälder suggerieren offensichtlich Lösungen, die jedoch auf einem gut ausgerichteten Friedhof viel besser möglich sind. Die Botschaft muss lauten, dass eine personifizierte Grabstelle, an der man etwas tun darf, viele Vorteile und eine erheblich stärkere Heilkraft besitzt. Die große Chance für uns besteht darin, das stärker herauszustellen: Im Friedwald oder Ruheforst, bei Kolombarien, bei anonymen Beisetzungen oder auf Rasenfeldern sind die oben beschriebenen Trauerhandlungen nicht zulässig.
 
ARGE Urnenhain: Was raten sie allen Beteiligten?
Günter Czasny: Friedhöfe müssen und werden sich ändern. Wir müssen die Herausforderung annehmen: Nur wir haben das Wissen und die Kenntnis, Friedhöfe so zu gestalten, wie sie Trauernde in ihrer schmerzhaften Lebensphase wirklich benötigen.
Günter Czasny, Strassacker GmbH